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Erst die Lippenbrause, dann ein Kanon

Selbstversuch – Kurse für „Stimmentdecker“ am Alice-Hospital – Training für die Gesichtsmuskulatur – Wie schafft man es eigentlich, einen Ton zu halten?

Mit Körpereinsatz: Teilnehmer des Kurses für Stimmentdecker in einem Seminarraum auf dem Gelände des Alice-Hospitals. Fünfte von links: Kursleiterin Pamela Fay-Küper.  Foto: Claus Völker

Am Alice-Hospital gibt es seit zehn Jahren Kurse für „Stimm-entdecker“. Sie richten sich an alle, die Lust auf Singen haben. Die Autorin singt höchstens mal im Auto, warum nicht in der Gruppe? Ein Erfahrungsbericht.

Am Anfang stehen Aufwärmübungen. Die Gruppe geht im Kreis, den Takt geben die Schritte vor: Eins, zwei, drei. Dazu werden die Vokale gesungen: a, e, i, o, u. Die Koordination von Gesang und Schritten erfordert Konzentration. Nächste Übung: Lippen aufplustern, Luft durchpressen und dann die Lippen brausen lassen. Die Gruppe schnattert die Tonleiter hoch und runter. Gelächter. Bald bleibt die Luft weg und im Gesicht kribbelt es. Kurze Pause, dann geht‘s weiter mit der Zunge: Sie soll vibrieren bis Trillertöne zu hören sind. Mehr als ein „Drrrummm“ passiert nicht. Warum macht mein Muskel nicht das, was er soll? Von wegen, jeder kann singen!

Bewegung wirkt sich positiv auf den Klang aus

„Das braucht Übung“, sagt die Gesangspädagogin Pamela Fay-Küper. Bei den Übungen werde der ganze Körper gefordert. „Das geht nicht ohne Kondition.“ Die Kursleiterin unterrichtet nach der „Schule der Stimmenthüllung“ der Schwedin Valborg Werbeck-Svardström (1879 bis 1972). Ihre Idee: Töne kommen aus der Bewegung und wer sich bewegt, der achtet nicht so sehr auf die Stimme. „Das wirkt sich positiv auf den Klang aus“, sagt Pamela Fay-Küper, die auch Leiterin eines Gospel-Chores ist. Weiter geht es mit der Erzeugung von Tönen. Sie entweichen mit einem „Trillischiwumm“, die Arme bewegen sich parallel dazu dicht am Körper von oben nach unten. Pause. Dann werden Schultern und Arme mit einem lauten „Grrrilll“ nach hinten bewegt. Die Bewegung endet mit einem tiefen „Mmmh“. Ruhe und Anspannung wechseln sich ab. Lächelnde Gesichter um mich herum. Die Übungen zeigen Wirkung.

Manfred Fleck, Pressesprecher des Alice-Hospitals ist überzeugt, dass Singen positive Einflüsse auf die Gesundheit hat. Durch das bewusste und tiefe Atmen werde der Herzkreislauf gestärkt. „Wer schon einmal unter der Dusche oder beim Autofahren gesungen hat, weiß, dass es antidepressiv wirkt und Stresshormone reduziert werden.“

Es gibt auch einige Studien, die ergeben haben, dass Musikhören hilft, den Blutdruck zu senken. Selbst auf Chirurgen, die gerade operieren, soll Musik nach einer niederländischen Studie eine beruhigende Wirkung haben. Kein Wunder, dass es längst einen Verein der „singenden Krankenhäuser“ gibt, der auf die „heilsame Kraft des Singens“ setzt und Forschungsprojekte initiiert, um die gesundheitsfördernde Wirkung des Singens zu belegen.

„Singen ist ganzheitlich“, sagt Heike Rühl. Sie ist seit zwei Jahren dabei und genießt die anderthalb Stunden, die der Kurs dauert. Sie ist eine von denen, die ganz oft lachen muss. „Das gehört dazu“, sagt Pamela Fay-Küper. Lachen befreie. „Ich habe ganz viele Kursteilnehmer, die in der Schule schlechte Erfahrungen mit Singen gemacht haben“, erzählt sie. Viele hätten der Klasse etwas vorsingen müssen – und wurden vom Lehrer schlecht benotet. „Da ist die Lust verloren gegangen.“ Bei vielen ist sie zurückgekommen: „Ich kann mir gut vorstellen, in einem richtigen Chor zu singen“, sagt ein Teilnehmer, der seit einem Jahr dabei ist.

Nach und nach werden die Kursteilnehmer sicherer und lauter. Schön, wenn der eigene Singsang in den Klängen der anderen aufgeht und etwas Gemeinsames entsteht. Die Gruppe stimmt „Der Winter ist vorüber an“ auf Italienisch an. Das „inverno è passato“ geht schwer über die Lippen. Der Ruf des Kuckucks „cucù, cucù“ macht Spaß. Beim dreistimmigen Kanon „Dona nobis pacem“ (übersetzt: Gib uns Frieden) wird es noch anspruchsvoller. Nur wenige Töne gelingen. Hilfe, wie schafft man es eigentlich, einen Ton zu halten? „Ist ja deine erste Stunde“, versucht eine Mitsängerin aufzumuntern.

Anschließend, auf dem Heimweg, fällt das Atmen leicht, die Brust ist breit, die Laune gut. Singen als Entspannungsübung? Warum eigentlich nicht!

Quelle:
http://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/erst-die-lippenbrause-dann-ein-kanon_15885165.htm